MEIN NACHBAR CHRISTOPH

Hallo zusammen,

heute möchte ich euch meinen Nachbarn Christoph Wendel vorstellen. Christoph ist Opernsänger und seit vielen Jahren begleiten mich klassische Klänge, die über die Straße wehen, in meinem Alltag. Grund genug, mich mit Christoph zu verabreden und ihn bei einem Glas Wein auf seinem Balkon viele Fragen zu stellen und mit ihm für 2 Stunden auf die bewegende Reise seines Musikerlebens zu gehen:

Christoph ist wie ich gebürtiger Marienborner, Jahrgang 1965.

Seit der Gründung des Kinderchors der Kantorei St. Alban 1972 durch Heinz Lamby singt er. Ursprünglich hatten seine Eltern dies für seinen Bruder Oliver vorgesehen, aber wie das bei Geschwistern manchmal so ist, ist Christoph einfach mitgegangen… Von da an hat er zweimal pro Woche geübt und ist so in der Kirchenmusik in einem gemischten Chor groß geworden. Heinz Lamby hat zu dieser Zeit musikalische Früherziehung angeboten, was ganz und gar ungewöhnlich war. Aber die Kids haben nicht nur gesungen, sie sind durch Chorfreizeiten nach Gernsheim und an weitergelegene Orte zu einer festen Gemeinschaft zusammengewachsen. Und so passierte es, dass aus dem Kinderchor ein ganz besonderer Chor wurde, der immer besser und besser wurde und schließlich 1980 beim Besuch von Papst Johannes Paul II. in Mainz Finthen die Messe musikalisch begleitet hat. Wie man sich vorstellen kann, ist das ein ganz besonderer Moment in einer Musikerlaufbahn und prägend.

Der Kinderchor war so gut, dass auch Schallplatten produziert und vertrieben wurden. Christoph erzählte mir, wie selbstverständlich er in die Kirchenmusik und alle damit verbundenen Rituale hineingewachsen ist. Dass es die Gemeinschaftserfahrung war, die ihn fasziniert hat. Wie bedeutsam die gemeinsam praktizierten kirchlichen Rituale wurden, die heute immer mehr verloren gehen. Er konnte Teil der Gruppe sein, aber auch als Solist herausstechen. Immer klarer wurde der Gedanke „Es kommt auf mich an“, denn Christoph wurde Leistungsträger im Chor der Kantorei. Genauso wichtig und wunderbar war es aber auch, ohne Wettkampf immer besser zu werden und anspruchsvollere Stücke gemeinsam singen zu können. Musik und das Singen sind für Christoph Gemeinschaft.

Musik war so wichtig für ihn geworden, dass sie auch ein wesentlicher Teil seines Abiturs werden sollte und so wechselte Christoph vom Gutenberg ans Willigis Gymnasium. In dieser Zeit war es wohl auch, als er mit Jörg-Dieter Süß in Kontakt kam und in dessen neu gegründetem Chor voces cantates mitzuwirken begann. Das waren damals 16 Menschen, die a capella klassische Musik von der Renaissance bis zur Moderne gemacht haben und in veränderter Besetzung dies auch heute noch tun. So kam Christoph mit der Leibziger Schule in Berührung und befasste sich eingehend mit Bach und Beethoven.

Christoph spielt Klavier und Posaune. Beides hat er am Konservatorium in Mainz erlernt.

Nach dem Abitur stellte sich auch für ihn die Frage, was er machen möchte. Er erzählte mir von einem Schlüsselmoment: Er wusch das Auto und hörte dabei Klassik Radio. Als er Erika Köth, eine der großen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, singen hörte, war er von ihrem Gesang völlig begeistert. Die Idee, sein Leben der Musik zu widmen, wurde lebendig. Und wie es der Zufall so wollte, kannte seine Tante jemanden, der den Kontakt herstellen konnte und so sang Christoph bei Erika Köth vor. Köth war von seiner Stimme begeistert und riet ihm zum Musikstudium. So kam es, dass Christoph Diplom Musik in Mannheim, Salzburg und Würzburg studierte und abschloss. Er arbeitete im Anschluss mit verschiedenen Dirigenten zusammen, z.B. Marcello Viotti, Peter Maag, Michael Gielen oder Claudio Abbado und sang mit den Los Angeles Philamonics im Hollywood Bowl, an der Staatsoper Budapest oder der Staatsoper Hamburg mit der ersten Riege von internationalen Sängern und besetzte dort wirkungsvolle Nebenpartien.

Auch in unserer Kirche St. Stephan hat Christoph schon mehrfach gesungen und hat mir diese Aufnahme von der 1000-Jahrfeier Marienborns überlassen:

2003 kam dann die Stimmkrise. Und wohin zieht es einen in der Krise? Nach Hause. Und so leibt, lebt und arbeitet Christoph heute, nach einem weiteren Studium zum Diplom Musik-Pädagogen in Weimar, in Marienborn.

Seine Studenten kommen von nah und fern. In der Coronazeit hat er auch viel digital unterrichtet. Und so sehe ich gegenüber viele Menschen kommen und gehen, höre viele verschiedene Genres und denke immer öfter, was für eine wunderbare Welt die Musik doch ist.

Hört Christoph auch digital unter Auszüge der Osterkantate von J.S. Bach (BWV 66) aus der kING zu Ostern 2021 – YouTube (ab Minute 6:36).

2 Comments

  1. Da liest man sich richtig fest!
    Ich wollte schnell mal den Text über den Paketboten lesen, der mir gestern beim Friseur empfohlen wurde, und wieder konnte ich nicht aufhören zu lesen.
    Euer Blog ist super- weiter so. Inzwischen teilen ihn immer mehr Leute!

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