Hofgeschichten

Wer durch die Marienborner Hauptstraße Im Borner Grund geht oder fährt, der kann genau erkennen, dass der Ort einst ein reines Bauerndorf gewesen ist. Alte Bauernhäuser und große Hoftore weisen heute noch darauf hin. Meist sind sie verschlossen, doch wenn eines dieser Tore einmal offen steht, entdeckt man große Innenhöfe mit altem Kopfsteinpflaster und mächtige Scheunen, deren Bruchstein-Fassaden und Dächer fast so alt sind, wie der Stadtteil selbst.

In dieser Woche bekam ich zufälligerweise die Gelegenheit, mir einen solchen Hof aus nächster Nähe anzuschauen: Den Hof von Familie Schultheis, Im Borner Grund 27 – und dabei war ich wegen einer ganz anderen Geschichte dort.

„Unser Hof hat die typische Form mitteldeutscher Gehöfte: Die Giebelseite des Wohnhauses steht zur Dorfstraße und dahinter kommen der Stall und die große Scheune, die im rechten Winkel zu den anderen Häusern steht.“

(Hildegard Schultheis)

Der Winkelhof ist eine von mehreren Gehöftformen, die sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts durchgesetzt hat. Ihre typischen Merkmale erkennt man auch heute noch an mehreren Marienborner Höfen, wie auch an diesem: Die Giebelseite des Wohnhaus wurde zur Dorfstraße hin gebaut, daneben eine große Toreinfahrt. Die repräsentative „Gute Stube“ befand sich genau an dieser Giebelseite und hatte die Fenster zur Straße hin. An das Wohnhaus schließt sich der Stall und weitere Wirtschaftsgebäude an. Die Scheune bildet das hintere Ende des Hofes und steht im rechten Winkel zu den restlichen Gebäuden. Und sie ist riesig!

Über dem Eingang des Kartoffelspeichers, deren Eingang sich links neben der großen Scheune befindet, ist folgendes in Stein gemeißelt worden: H & K 1786. Erwin Schultheis hat das Eingravierte vor Kurzem farblich hervorgehoben, sodass man es besser entziffern kann. Das Gehöft stammt also aus dem späten 18. Jahrhundert und wurde nur einige Jahre nach der St. Stephanskirche errichtet.

Wenn man hineingeht, entdeckt man am hinteren Ende noch die typische Unterteilung in zwei Kartoffellager:

„Rechts wurden die guten Kartoffeln gelagert, die man auch verkaufen konnte. Links wurden die kleinen, unverkäuflichen aussortiert. Die bekamen die Schweine.“

(Erwin Schultheis)

Was ist das für ein Loch im Mauerwerk?

Ein kleines Flaschenlager! Kühl und trocken – perfekt zur Lagerung von Wein und anderen Spirituosen. Diese (leere) Flasche war selbst für Hildegard und Erwin eine kleine Überraschung – wie lange sie wohl dort schon liegt?

Das Stallgebäude (Ende 18. Jh.) mit der Gülle-Kaute auf der rechten Seite
Fenster zum Stall.

Der Kuhstall schloss sich an das Wohnhaus an, wobei sich die beiden Gebäude ursprünglich nicht berührt haben. Früher gab es zwischen Haus und Stall eine Art „Wirtschaftsraum im Freien“. Hier stand der große Wasserkessel für die Wäsche, die im Anschluss zwischen den Hauswänden zum Trocknen aufgehängt wurde. Der Stall selbst beherbergte noch bis Ende der 1960er Jahre Milchkühe – die Milch wurde in großen Milchkannen an die Ortsbewohner verteilt, die mit ihren privaten Kännchen zur „Milchstation“ kamen.

„Dann kam die Abschlachtprämie für Kühe. Ja, weil es so viel Milch gab. Und dann wurden die Kühe abgeschlachtet und da hatten wir nur noch Bullen hier drinnen. Für die Fleischversorgung im Ort.“

(Erwin Schultheis)

Einiges hat sich mittlerweile auf dem Hof verändert: Der Kuhstall beherbergt heute die Zentralheizung, die Stallungen gegenüber des Kuhstalls wurden durch ein modernes Wohnhaus ersetzt und die große Scheune wird als Lagerraum genutzt .. oder als Kulisse für ein interessantes Hobby, auf das in einem späteren Beitrag noch eingegangen wird. Und dennoch liegt da diese Magie über dem Gehöft, die einen ganz ehrfürchtig macht.

Vielen Dank an Hildegard und Erwin für dieses wundervolle Erlebnis!

1 Comment

  1. Mich würde wirklich interessieren, ob da der gleiche Zimmermann am Werk war wie für die Katholische Kirche, die Ähnlichkeit der Dachkonstruktion ist verblüffend! Und ich freue mich auf die Fortsetzung!

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