Mercatorstraße

Als nicht gebürtige Marienbornerin staune ich immer wieder über die historische Vielfalt dieses Ortes. Der nach Drais zweitkleinste Mainzer Stadtteil hat einiges zu erzählen. 

Lange Zeit wusste ich zum Beispiel nicht, dass die Straße in der wir wohnen erst seit ca. 52 Jahren Mercatorstraße heißt. Vor der Eingemeindung von Marienborn in die Landeshauptstadt Mainz im Juni 1969 war sie als “Hohlstraße” -auch “holewec” oder “huul”- bekannt.

Auch andere Straßennamen wurden im Zuge der Eingemeindung umbenannt:

Diese Erkenntnis hat uns auf die Idee gebracht, immer wieder kleine Fundstücke der Geschichte über Marienborn in unseren Blog einfließen zu lassen – sowohl aus jüngster als auch ferner Vergangenheit.

Heute stelle ich euch die MERCATORSTRAßE vor – eine der ältesten Straßen von Marienborn! Es gibt so einiges über sie zu erzählen. Hier soll es zunächst um einen kleinen Überblick gehen:

Der “holewec” wird bereits 1258 erwähnt. Im späten Mittelalter wie in der frühen Neuzeit lebten rund 20 Familien in Marienborn, insgesamt ca. 100-120 Menschen. Sie siedelten sich entlang des Borner Grundes an – zwischen der heutigen Mercatorstraße (dem “holewec”) auf der einen und der Klein-Winternheimer-Straße auf der anderen Seite. Marienborn gehört zu den sogenannten rheinhessischen Straßendörfern.

Ausschnitt aus einem Plan um 1800

Die Mercatorstraße ist nach dem ersten fest ansässigen Pfarrer von Marienborn benannt: Vinzenz Mercator, der hier von 1676-1716 katholisch predigte. Wieso ich die Konfession so hervorhebe? Weil Marienborn während der Reformationszeit knapp 70 Jahre lang evangelisch war, von 1555 bis 1624.

Auf den ersten Blick verbindet man mit der Mercatorstraße folgende Dinge:

  • den Friedhof, der sie am oberen Ende abschließt
  • das Ev. Gemeindehaus, welches sich gegenüber des Friedhofs befindet
  • ihre Absperrung in der Mitte, wegen der die Autofahrer nicht durchfahren können
  • ihre vielen Schlaglöcher, die gerade den Fahrradfahrern zu schaffen machen

Es lohnt sich jedoch einen zweiten Blick zu wagen:

Der Friedhof mit Blick auf die Friedhofshalle

Man mag es nicht meinen, aber unser Friedhof ist ein geselliger Ort. Die kleine Bank unter dem Baum links im Bild ist immer wieder ein Treffpunkt für alteingesessene Marienborner:innen, die sich dort nach der Grabpflege austauschen und die Sonne genießen. Dieses Bänkchen durfte im vergangenen Jahr sogar den Lebendigen Adventskalender eröffnen und war für einen Abend wunderschön mit Tannenzweigen und Lichterketten geschmückt.

Gemeindehaus der Ev. Kirchengemeinde

Das Ev. Gemeindehaus wurde im Herbst 1969 eingeweiht und besaß 1970 bereits 387 Gemeindemitglieder. 1977 wurde der Anbau des Jugendkellers beschlossen und mit dem ersten Gemeindepfarrer Harald Jaensch kam es 1978 zu einer kontinuierlichen Gemeindearbeit.

Madonnenstatue des ehem. Schwesternhauses St. Vinzenz
Links oben das St. Vinzenz-Haus

Unterhalb des Gemeindehauses stand vor ca. 12 Jahren noch ein imposantes Gebäude: Das St. Vinzenz-Haus. Die Schwestern, die darin wohnten wurden unter anderem auch aufgesucht, um kleine Verletzungen zu verarzten.

„Ei, bevor ich zum Arzt bin, ging ich grad schnell zu den Schwestern. Die konnten das auch alles!“

(Stephan Schaerf, Mercatorstraße 14)

An dieses Haus war ein katholischer Kindergarten angeschlossen und es besaß einen riesigen Garten mit Obstbäumen und Rosenbüschen, an die sich der ein oder die andere noch gerne erinnert. Leider ist von all dem nur noch die Madonnenstatue übrig geblieben.

Ein weiteres Highlight ist dieser Steinbogen, durch den man ebenfalls auf den Friedhof gelangen kann. Er war einst der Eingang zu einem Priesterhaus, von dem ich leider bis jetzt keine Abbildungen finden konnten.

„Da oben am Ende des ‚holewec‘ stand einmal ein großes Haus mit weiten Räumen und tiefen Kellern. Nur die Umfassungsmauern stehen noch und auch sie nur teilweise, und sie umschließen heute die Stätte der Toten.“

(Pfarrer Jakob Bergmann, Festschrift aus Anlass der 900 Jahrweiser von Marienborn und des 200. Jahrestages der Weihe unserer Kirche, 1960)

Zunächst stand hier seit 1723 ein Pfarrhaus, das 1725 zu einem großen Priesterhaus umgebaut wurde. Zum einen diente es zur Unterbringung dienstunfähig gewordener Geistlicher als eine Art Seniorenheim, zum anderen wurden dort sogenannte Emeriti aufgenommen: Geistliche, die sich etwas haben zu Schulden kommen lassen und im Priesterhaus ihre „Haft“ absitzen mussten. Aber nicht nur das: In der französischen Revolution bezog der französische General Custine das Priesterhaus, wo dann auch am 21. Oktober 1792 die Kapitulation der Stadt unterzeichnet wurde!

Blick von der Scheune auf den Zehnthof und das ehem. Bauernhaus
Die Zehntscheune

Die Zehntscheune in der Mercatorstraße 9 -vielen auch als Schneider Hof bekannt- ist um 1600 erbaut worden und steht heute unter Denkmalschutz. Hier wurden früher die Naturabgaben der Marienborner Bauern an die Stadtherren gesammelt und gelagert. Wunderschön hergerichtet und restauriert wird sie heute von Familie Gebhard bewohnt. Im ehemaligen Bauernhaus wohnen unter anderem wir.

Das wohl schönste Teer-Flicken der Mercatorstraße

Und zum Schluss noch ein kleiner Schmunzler: Innerhalb der vielen Teer-Flicken, die die Straße mittlerweile zu einem gefährlichen Pflaster machen, entdeckt man doch noch kleine schöne Überraschungen.


Literatur:

  • Bergmann, Jakob (Hrsg.): Festschrift aus Anlass der 900-Jahrfeier von Marienborn und des 200. Jahrestages der Weihe unserer Kirche, H. Kunze, 1960.
  • Hofmann, Philipp: Mainz-Marienborn – vorgestern, gestern, heute, Geiger-Verlag Horb a.N., 1985.
  • Stadtteil Mainz-Marienborn (Hrsg.): Marienborn und seine 1000jährige Geschichte, Rhein Main Druck, Mainz-Hechtsheim 1995.
  • May, Georg: Das Priesterhaus in Marienborn, Mainz 2005.

4 Comments

  1. Als Zugezogene in die Mercatorstraße war das jetzt aber ganz wundervoll zu lesen und sehr informativ! Vielen lieben Dank!

  2. Der Beitrag über die mercatorstrasse ist super: gut recherchiert und interessant geschrieben.
    Kompliment an die Autorin von Friederike

  3. Ich bin Jahrgang 1957 und in Marienborn geboren. Als ich noch Kind war, sind wir im Winter mit unseren Schlitten die „Huul“ runter gesaust. Los ging´s oben am Friedhof, unten um die Kurve und bei der Metzgerei Peter kamen wir zum Stehen. Durchgefroren und mit nassen Füssen wärmte uns zuhause ein Kakao und der offene Backofen. Es war wunderschön als Kind hier zu leben, zu jeder Jahreszeit. Doch davon ist heute leider nichts mehr geblieben.

Schreibe einen Kommentar zu Elke Kuhn Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert