Das Haus der Englischen Fräulein

Erinnert ihr euch noch an diese alte Postkarte aus unserem Bericht über die Mercatorstraße? Sie ist aus dem Jahre 1905 und zeigt mehrere Gebäude von Marienborn. Über das Haus der Vinzenz-Schwestern links oben im Bild hatten wir damals berichtet.

Heute möchte ich euch etwas über das Haus in der Mitte der Postkarte erzählen, dem Sommeraufenthalt der englischen Fräulein. Englische Fräulein, so wurden früher die Maria-Ward-Schwestern genannt, die sich 1752 in Mainz angesiedelt haben. 1903 ließen sie in der heutigen Gottfried-Schwalbach-Straße 33 ein Heim für erholungsbedürftige Schwestern errichten. In den Jahren 1945 – 1957 betrieben sie hier außerdem eine Hauswirtschaftsschule für Mädchen, bevor das Gebäude und ein Teil der angrenzenden Parkanlage im Jahr 1960 für 87 500 Mark an die Gemeinde verkauft wurden. Die Parkanlage erstreckte sich damals über die heutige Schulhoffläche bis hin zur Klein-Winternheimer-Straße.

Das fertiggestellte Haus 1903/1904
Aufnahme von heute

Die Originalpläne von 1903, die mir Rainer Guyot zur Verfügung gestellt hat:

Frontalansicht 1903 (Bauplan)
Frontalansicht 2021
Seitenansicht / Schulhofseite 1903 (Bauplan)
Seitenansicht 2021 – und die sympathischen Hausbesitzer

Seit 2008 gehört das Haus, das direkt an den Schulhof grenzt, Brita und Rainer Guyot. Die zwei haben mich auf einen kleinen Plausch zu sich eingeladen und ein paar Geschichten über das Haus geteilt.

Ursprünglich kommen die beiden aus Gießen. Ende 1977 verschlug es sie nach Marienborn. Hier wohnten sie zunächst Am Sonnigen Hang 1 bevor sie 1980 – zunächst als Mieter – in den 1. Stock ihres heutigen Hauses zogen.

„In der Zeit gehörte das Haus der Gemeinde, da war natürlich einiges los hier. Es gab immer wieder neue Vorschläge zur Nutzung dieses Hauses: als Kindergarten, Jugendräume oder als Erweiterung der Schule, die sich damals ja noch hier gegenüber befand, wo die Brunnebutzer heut ihr Vereinsheim haben. Letztendlich wurde das Erdgeschoss dann in den 1980er Jahren als Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderungen genutzt.“

(Rainer Guyot)

Ein paar Originale von 1903/1904 sind geblieben: Die große hölzerne Eingangstür, das Eisentor und die Klinkersteine um Tür- und Fensteröffnungen. Auch die knarrenden Stufen des Holztreppen sind Originale!


„Mitte der 1980er Jahre hatte sich der damalige Ortsvorsteher Philipp Hofmann auch noch eine praktische Nutzung für die Kellerräume des Hauses überlegt: Sie wurden von den Marienborner Vereinen als Abstellmöglichkeit genutzt. So deponierte der Musikverein dort seine Kesselpauken, der Gesangsverein seine 3×6 Meter große Kerbehütte und die TuS die Trikots ihrer Fußballmannschaften! Außerdem standen dort eine eigens für die TuS installierte Waschmaschine und ein Wäschetrockner, die der Verein noch bis Ende 2010 für Trikots genutzt hat.“

(R. Guyot)

In die Wohnung im ersten Stock, die Guyots zu Beginn bewohnt haben, ist seit August 2021 ihr Sohn samt Familie eingezogen. Mit der Rückkehr von René in das Haus seiner Kindheit verbindet die Familie auch eine kleine Anekdote, die mit der Madonnenstatue am Haus zusammenhängt.

Sie stammt ebenfalls aus dem Jahr 1903/1904. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass ihr die rechte Hand fehlt…

„René und sein Kumpel Peter fanden es toll, im Winter Schneebälle auf die Statue zu werfen und zwar so, dass sie die Hand der Madonna trafen. Denn dann sah es so aus, als hätte sie auch einen Schneeball in der Hand. Irgendwann hat die Hand es aber nicht mehr ausgehalten und ist abgebrochen. Da haben die Jungs fein säuberlich die Scherben zusammengefegt und kein Ton darüber verloren. Irgendwann, da war er aber schon erwachsen, hat René uns das dann gebeichtet. „

(Brita Guyot)

Eine Restaurierung war so ohne weiteres nicht möglich gewesen und hätte Unsummen gekostet.

„Und da hab ich gesagt: Der René hat nur eine Hand und da wird die Madonna auch mit einer zurecht kommen!“

(R. Guyot)

Ein Fensterbild von Marienborn – ein Geschenkt von einem befreundeten „Ur-Marienborner“ – und in der Mitte das Haus der Englischen Fräulein.

Vielen Dank liebe Brita und lieber Rainer! Jetzt wissen wir endlich mehr über ein Haus, zu dem es sonst leider keine Literatur gibt und auf das auch sonst in keiner Chronik von Marienborn näher eingegangen wird.

Und zum Schluss noch unsere neue Tradition: Das bedeutet MARIENBORN für Brita und Rainer! Lieben Dank!

3 Comments

  1. Pingback: Der geheime Garten
  2. Mal wieder ein toller und sehr interessanter Artikel, liebe Jenny! Gerne mehr vom Historisches Marienborn ;-). Liebe Grüße

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